Oder auch: Was ist die Erkrankung, was ist meine eigene Persönlichkeit und was habe ich mir mit den Jahren selbst „antrainiert“?!
Schwierige Fragen die mich momentan ganz besonders intensiv beschäftigen… Und aus denen gefühlt noch viel mehr weitere Fragen entstehen, als das sie sich sich wirklich lassen beantworten…
Aber von Vorn… Seit jetzt gut zwei Jahren habe ich die gesicherte Diagnose „ADS“. Ich bin wohl der „kombinierte Typ“ aus unaufmerksam & impulsiv. So weit, so gut. Das ist erst einmal die reine („harte“) Diagnose. Allerdings ändert sich mit der reinen Diagnose ja (leider!) nicht auf Schlag das Leben und/oder verpuffen die ganzen „Stolpersteine“ – die man sich ohne die Diagnose zum Teil selbst legt – ja auch nicht einfach so von heute auf morgen…
Da ich aber seit der Diagnose leider keinen fachbezogenen Menschen an meiner Seite habe (Therapeut, Facharzt etc. – Mein Psychiater ist bemüht, im Thema „Adultes AD(H)S“ aber nicht wirklich drin. Anderes Thema..), habe ich in den letzten zwei Jahren viel auf eigene Faust „recherchiert“, erlebt und mich natürlich auch zum Teil mit anderen Betroffenen verglichen/ausgetauscht. Social Media sei Dank, rückt ja auch das Thema des adulten AD(H)S zum Glück immer mehr in den Fokus der Fachärzte aber auch der Öffentlichkeit. Natürlich bin ich auch „voll“ in der Bubble drin und beschäftige mich an manchen Tagen (Hallo Hyperfokus!) förmlich mit nix anderem, trotzdem bin ich echt froh, dass immer mehr Menschen zu ihrer Diagnose stehen und damit auch durchaus relativ offen umgehen…
Das hat mir persönlich gerade in der ersten Zeit sehr geholfen, sich quasi auch selbst in das Thema vernünftig „einzulesen“, selbst „dran zu bleiben“ und mit „sehr aufmerksamen Augen/Ohren“ durch den Alltag zu gehen (Was man als Betroffener einer psychischen Erkrankung eh irgendwann macht).
Dadurch sind mir natürlich viele Dinge aufgefallen, die ich offenbar zwar schon sehr lange so handhabe, aber deren wirklichen Gründe ich nie verstanden habe bzw. mich sehr oft in der Vergangenheit gefragt habe, warum ich dies & das zum teil sehr „anders“ mache als andere Menschen. Oder warum ich in bestimmen (und immer denselben) Situationen so reagiere wie ich reagiere. Waren wohl die berühmten Steine die mir vom Herz gefallen sind (oder Tomaten von den Augen) nach der Diagnose. Auch das hört man ja von Betroffenen immer wieder…
Und dabei sind es noch nicht einmal so sehr die „kleinen Schrulligkeiten“ die ich mir selbst so über die Jahre angeeignet habe wie der enorme Verbrauch von „PostIt“ Klebezettel um jeden kleinsten Gedanken aufzuschreiben bevor man ihn wieder verliert, das „Gedankenspringen“ in einem Gespräch, sich total leicht ablenken lassen („Oh… Ein Schmetterling! Oh… Stimmt, vor 32 Tage habe ich Dias & Das gesagt!“), das ständige Suchen nach Smartphone, Schlüssel, Geldbörse usw. oder aber das „Siebhirn“ an sich…
Nein, es sind tatsächlich gerade (mal wieder) die etwas „größeren“ Zusammenhänge, die mir zu schaffen machen. Eben Dinge, die den Alltag, das Berufsleben aber auch das Miteinander mit anderen Menschen schon zum Teil sehr beeinflussen. Und von denen ich eben bis… vor kurzem… auch nicht wirklich den Zusammenhang mit der Erkrankung fassen konnte. Weil ich es eben Jahrelang nicht anders kannte bzw. nie wirklich drüber nachgedacht habe, ob es nicht doch vielleicht „einen anderen Weg“ geben könnte. Wenn man sich aber dann mal ganz bewusst mit seinem eigenen Handeln auseinandersetzt, sich mal für sich selbst Gedanken macht, verschiedene alte Verhaltensmuster aufzubrechen und doch mal etwas Neues zu wagen… Dann strengt das ziemlich an… :-/
Besonders, wenn es Dinge sind, die eben auch andere Menschen betreffen und nicht „nur“ einen selbst. Zum Beispiel so Sachen, dass ich mir inzwischen ganz bewusst freie und vor allem ruhige/reizarme Zeit für mich bzw. mit mir selbst nehme. Dadurch sind dann auch durchaus schon mal die ein oder andere „Familienfeier“ quasi „unter die Räder gekommen“, weil ich schon im Vorfeld bemerkt habe, was dass im Endeffekt für eine Belastung für mich wird. Das eine Absage dann nicht immer unbedingt auf Wohlwollen trifft, gerade bei den Familienmitgliedern/Menschen die nicht ganz so sehr „im Thema drin“ sind, ist zu erwarten. Auch wenn ich sehr oft zu meiner Entscheidung stehen kann und genau weiß, dass ich so etwas nicht aus Böswilligkeit entscheide, springen mir nicht selten die alten Verhaltensmuster/Gedanken anschließend mit voller Wucht in den Rücken (Reminder: Das hat bei mir wohl viel mit den sehr negativ behafteten & zum Teil selbst abwertenden Gedanken der Depression zu tun).
Ein weiteres Ding was mich echt beschäftigt, ist diese „Struktur“ die ich nicht haben möchte, aber doch ganz enorm im Alltag brauche. Und da rede ich nicht über einen Tagesplan (Den ich trotzdem jetzt auch führe ;) ), sondern tatsächlich über die langfristige Struktur (Du willst mich zu einem großen Fest einladen?! Am besten schon zwei Jahre im Voraus! :D ). Das merke ich gerade besonders wenn es um den immer noch schwebenden Umzug geht. Nicht nur, dass das alles eine enorme psychische Anstrengung für mich ist, auch macht mich diese Ungewissheit was in einem, in drei oder in sechs Monaten ist, echt völlig fertig. Ich hätte am besten schon vor Corona anfangen sollen, den kompletten Umzug durchzuplanen (Wäre schön gewesen, wenn ich es damals überhaupt schon gewusst hätte!), damit ich es jetzt, 2023, in meinem ganz eigenen Tempo angehen kann. Ist aber leider nicht so, ich muss mich da den Gegebenheiten wohl einfach beugen und frage mich nicht selten dabei, wie es all die anderen Menschen schaffen…
Und genau das ist dann – gerade in letzter Zeit wieder verstärkt – der Punkt, der mir echt zu schaffen macht. Ich rutsche sehr schnell, sehr arg in so „Vergleichen“ mit anderen (normalen?!) Menschen ab.
Dieses „Vergleichen mit anderen“ kennt sicherlich jeder in gewisser Form. Und sicherlich ist das auch irgendwo in uns Menschen drin, ob es jetzt der Hintern, das Auto oder eben irgendein Verhalten ist… Wir Menschen gucken halt auch einfach mal links & rechts. In gewisser Weise ist das ja sicherlich auch okay, es darf halt nicht „ausarten“. Und dabei finde ich noch nicht einmal das „Vergleichen“ an sich so schlimm (Nicht selten kann ich aus solchen „Vergleichen“ auch etwas lernen.), sondern viel mehr diesen „Gedankenstrudel“ in den ich sehr oft falle und durch den ich mich selbst ziemlich klein mache. Gerade was so vermeidlich „übliche“ Dinge eines „normalen“ Menschen in meinem Alter angeht… Beruf, Partnerschaft (eigene) Familie, Zukunftsplanung. Ich hab die 40 bereits überschritten, da sind viele meiner Altersgenossen schon mehr oder weniger „durch“ mit der Familienplanung und gehen schon in die Phase über, in der sie sich auf ein baldiges „ruhigeres“ Leben freuen. Ich dagegen renne noch wie Vierjähriger ziellos durch den riesen Supermarkt und dessen viele Regale…
Und bei all dieser Ziellosigkeit, weiß ich zudem auch noch nicht wirklich, was ich will, wohin ich möchte und in welcher Farbe das Ganze…
Ja, ich weiß dass es zu dem Prozess nach so einer späten Diagnose „dazugehört“, es geht vielen Betroffenen genauso und in den meisten Fällen ist dieser (mal kürzer, mal längere) Weg auch irgendwann wieder vorbei, aber trotz allem Bewusstsein dafür… Anstrengend und „nervig“ sind dies Phase trotzdem. ;)
Vielleicht kommt da auch wieder in bisschen die weiter oben schon angesprochene Struktur zum Tragen. Ich weiß, dass ich gerade kein „klares Bild“, keine wirkliche Richtung auf dem Radar habe, würde es eben sehr gern habe. Aber auch das muss ich wohl noch lernen und darf mich da nicht von meinen alten Verhaltensweisen ins Bockshorn jagen lassen (Es auf halben Wege hinzuschmeißen). Dran bleiben lautet die Devise…
Und bis diese „nervige“ Phase vorüber ist, kann ich ja eventuell weiter an meinen „Schrulligkeiten“ arbeiten, denn auch hier geht mit einem gesunden Bewusstsein für seine eigenen „Ecken & Kanten“ sehr viele, sehr entspannter über die Bühne. Jeder Mensch ist anders… Auch wenn es abgedroschen klingen mag, so ist es gerade und vor allem bei der eigenen Persönlichkeit doch ganz sicher so!
In diesem Sinne… Für mehr (Tages)Struktur! ;)
P.S.: Ich bin ziemlich stolz, dass ich das Schreiben dieses Beitrages (fast) in einem Stück durchgezogen habe, ohne dabei in einen extremen Hyperfokus zu fallen (Denn auch das kann manchmal ganz schön anstrengend sein!)… :)
Artikelbild von Valentin Schönpos auf Pixabay
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